"Glücklich ist, wer erkennt, dass er auch unglücklich sein darf"
(in Anlehnung an den folgenden Beitrag, #Zeit Wissen, 04.2014)
Heute möchte ich auf zwei großartige philosophisch-psychologische Artikel rekurrieren, die ich kürzlich in der aktuellen Zeit-Wissen-Ausgabe las und von denen ich überzeugt bin, dass sich jeder von uns täglich damit beschäftigt, da er es will - oder muss. Meine
Ausgangsthese ist, warum ich trotzdem glücklich bin. "
Träume,
Ziele,
Idealvorstellungen erfüllen aus psychologischer Sicht einen wichtigen Zweck: Sie geben uns
Orientierung und
motivieren uns". Auch wenn wir unsere Träume wieder verwerfen - z.B. aus Vernuft und Machbarkeit - "richten wir unsere Aufmerksamkeit und psychische Energie auf neue, aber inhaltlich verwandte Träume". (Wrosch-Theorie) "Manche Träume bleiben uns als
bittersüße Sehnsüchte erhalten", "
bitter, weil sie utopisch sind.
Süß, weil sie mit schönen Gedanken verknüpft sind und uns erlauben, das Ersehnte auf der Imaginationsebene zu erleben. Wir versetzen uns sogar gezielt in
Sehnsucht, etwa indem wir Musik hören (...). Anstatt utopische Träume zu begraben, verewigen wir sie in unserer
Fantasie." (Brigitte Boothe) Ich nenne das:
passives Glück.
"Die gute Nachricht (also) lautet:
Glück ist noch möglich, das Abendland bleibt bestehen, und wir werden weiterhin nach
Liebe suchen. Wir müssen an keinen Gott glauben, wir brauchen nicht zu heiraten, (...)" - puh, na da bin ich aber schon mal erleichtert.
Zweite These: "Individualismus ist zum Zwang geworden". "Das Individuum wird paradoxerweise zur Anpassung gedrängt an das große
Ideal, individualistisch zu sein. "
Anpassungsdruck" (bestimme Leistungskonformität), lautet also das moderne Schlagwort. Eine der schönsten Zitate folgt:
"Der Sinn von Persönlichkeit besteht in der wiedererkennbaren
Selbstdarstellung. Das lateinisch-antike Wort Persona heißt
übersetzt Theater-Maske. Jeder Mensch trägt seine Maske,
jeder Mensch ist Darstellerseiner selbst,
und die Welt ist eine Bühne." (Jens Asendorpf)
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©#Ellen von Unwert |
Also "im sozialen Alltag ist alles Selbstdarstellung" und wir
Blogger wissen, was er meint. "Permanent souffliert der Geist der Zeit: Du musst dich abgrenzen! Du musst interessant sein! Du sollst einmalig sein! Ja, aber wie soll man das sein, wenn es alle sein sollen?". "Er soll Ecken, aber keine Kanten haben. (...) Er soll kontrolliert und rational sein, zugleich aber charismatisch und begeisterungsfähig". Sind wir das? ✔ "Verkürzt gesagt, strebt jeder Mensch nach dreierlei:
sozialer Anerkennung,
Erfolg und
Glück – im besten Fall verschmilzt alles in einem".
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© #GNTM '12 |
Wer ist erfolgreich? Die "Erfolgreichsten unter uns" sind demnach "keine großartigen Visionäre, sondern
bescheidene,
zurückhaltende,
fleißige,
zuverlässige und
entschlossene Persönlichkeiten, die einen Bereich gefunden haben, in dem sie sich systematisch zu verbessern suchen". ✔ Meine L-Alliteration für Bewerbungsgespräche war immer
Leistungsbereitschaft,
Logik und
Lernfähigkeit, die ich auch ganz gut verkaufen konnte, und die mit den wiss. Erkenntnissen offensichtlich auch gut
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© #GNTM '12 |
vereinbar ist. Und: "Emotionale Stabilität zum Beispiel unterscheidet in nahezu allen Berufen die Erfolgreichen von den weniger Erfolgreichen". Als ich Praktikant im Controlling, also das kleinste Rad am Wagen war, kam eines morgens eine neue Mitarbeiterin aus der Planung völlig in Tränen aufgelöst zu uns in die Abteilung - ihre geplante Tour war geplatzt, da kurzfristig zwei Tester abgesprungen sind; ihre Reaktion: der
Emotion (Tränen) freien Lauf lassen und Mitgefühl suchen.. in dem Moment dachte ich: '
Mensch Mädl, das gehört doch hier nicht hin, mach's wenn du zuhause bist und such jetzt lieber nach einer Problemlösung..' - eine Woche später wurde sie entlassen...
Zu guter letzt, das "größte Luxusprodukt unserer Epoche:
Zeit". Der postmoderne Mensch "ist nicht imstande, zu sagen, womit genau er seine Zeit aufbraucht, er stellt nur fest, dass er nie genügend hat".
Dritte These: "Für alles, was wir beim Menschen an
Entwicklung haben, brauchen wir in erster Linie Zeit". Deswegen ist(war) es auch politisch gewollt, die Jahre zum Abitur zu verkürzen, die zeitliche Ausweitung des Studiums zu bestrafen,..., also die sog. "
Adoleszenzkrise" (Findungsphase: was will ich und wer bin ich?) zu verkürzen.
Von G9 auf G8 - früher soll es sogar noch Menschen gegeben haben, die den G10-Weg gewählt haben, mich übrigens eingeschlossen, weil sie sich in der schulisch-blühenden Atmosphäre sehr wohl behütet gefühlt haben. Du wusstest, ich brauche meine Mitschüler(/-streiter) nicht auszustechen, um meine Wunschausbildung(/-studium) zu bekommen, ich brauchte auch keine E-Mail mit falschen Klausureingrenzungen an die
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Nach zehn Stunden Arbeitstag (8³°-18³°) シ |
Kommilitonen versenden, damit ich der eine von 100 bin, der den begehrten Masterstudium-Platz bekommt, d.h. das, was der Wissenschaft nach ein sich entwickelnder, glücksorientierter (/-suchender) Mensch anstrebt, wird durch die Politik geradezu verhindert. Ergebnis: 20 Jahre später antworten diese - in ihrer
Findungssuche gehinderten - Menschen, in Unternehmerseminaren auf die Frage: "Wovon haben Sie immer schon mal geträumt?", überdurchschnittlich oft mit einem Satz wie jenem:
"Mal nackt durch den Wald zu laufen ..."
Resumé: "Dem Zwang zum
Glück zu entsagen erfordert eine neue Kompetenz:
Mut zur Entscheidung." Und für mich das schönste, weil treffendste Zitat als Epilog:
"Mut zum eigenen Typ zu haben heißt, Mut zu haben,
sich diesen Mut zu gönnen. Es heißt, Mut zu haben,
zu widersprechen und zu scheitern. Es heißt, Mut
zur Neugier, Mut zum kritischen Geist und zur
Absage an vorgefertigte Muster zu haben. Es heißt, Mut
zu haben, vor allem eines zu sein: normal." (Christian Schüle)