‚Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben
lebenswert machen‘.
Das war lange meine Einstellung zum Leben, ja, sogar meine
feste Überzeugung. Es kam der Punkt, da ich den Glauben daran verlor. So ging
ich Ende 2009 in einen fränkischen Kurort, um mich stationär behandeln zu
lassen. Wollte ich nie, hat sich so ergeben. Erste Amtsakt: Brot mit Butter!
„Butter?“, dachte ich, „never in your best dreams!“; Alternative? Direkt wieder
nach Hause. Kurz überschlagen: x Stunden Anreise, und sowieso der ganze
Aufwand, „ach was, jetzt, da ich schon mal hier bin – Butter ist super!“. So
ging ein Tag ins Land. Wie sah es dort aus? Zunächst einmal gibt es 40 Menschen
(von 14 bis 50J.), die das Glück hatten, so einen begehrten Platz zu bekommen,
und die gleiche oder ähnliche Probleme (MS, Bulimie) einte, davon – und das
wiederum empfand ich als sehr charmant – inkl. mir nur zwei männliche Wesen. Unter
so vielen Frauen fühlt man sich doch gleich viel wohler; die Atmosphäre friedvoller
und wärmer irgendwie. Aber eine volle Stunde nach dem Essen in ‘nem
Beobachtungsraum eingesperrt – zum Lesen übrigens ganz hervorragend! Doch wie
machen das die Bulimiker, dachte ich mir manchmal, die müssen doch innerlich
brennen.
Mein Plan war mich so weit wie nur irgendwie möglich von den
ES-gestörten zu distanzieren – die Gefahr noch viel mehr getriggert zu werden,
schien mir zu groß. Diese Intuition sollte sich als sehr wahr erweisen. Also
ging ich einfach mal in ein anderes Stockwerk über uns, und da spielten Menschen
im Aufenthaltsraum Karten. Ich liebe Kartenspielen, das ist wohl der einzige
Punkt wo ich mit Schopenhauer verschiedener Auffassung bin. Auch alles
psychisch kranke Menschen dort oben, aber ohne ES-Bezug; Schlafstörung,
Burn-Out, Selbstakzeptanz – Probleme psychischer Art, die ich wiederum nicht
verstand, aber was ich für mich als einen guten, weil auch lehrreichen Ort
hielt.
Auf der anderen Ebene indes sorgte ich für Unmut, oder
sollte ich besser sagen Neid. Alle
So ähnlich war's (©ebay.de) |
mussten so eine komische Atemtherapie und
Tai Chi machen – gar nicht meine Welt, ging mir so richtig auf die Nerven, also
handelte ich für mich stattdessen Ergotherapie aus. Kam natürlich bei den
anderen nicht so richtig gut an, was ich aber nicht als meinen Missstand
erkennen konnte. Dann kam erschwerend hinzu, dass der übliche Weg, sich über
gute Essleistungen vom Ersten, zum Zweiten, bis zu einem dritten, freien Tisch
hoch zu arbeiten, für mich nicht galt, als ich den Zweiten übersprang – aber
auch da handelte ich für mich nur eine faire Lösung aus; wenn andere ihre
Verhandlungschance nicht erkennen und nutzen oder sogar verspielen – sorry, not
my blame. Bei der Ergotherapie sah ich in einem Inspirations-Büchlein eine
Katze, die man aus Holz schnitzen konnte, um sie dann später mit Licht und in „Gold“
glasiert ins Fenster zu hängen – ich liebte diese Schablone sofort.
Leider,
muss man sagen, es is‘ scho verdammt viel Arbeit, so eine Holzfigur
detailgetreu und minutiös zu schnitzen. Aber ich wollte es unbedingt, weil ich
Katzen mag und weil ich genau
Kam per Post vom Bruder - brachte ツ |
wusste, ich würde es der Nachbarin meiner Mutter
schenken, die Katzen noch viel mehr mag. Mit Überstunden und freundlicher
Unterstützung der Ergotherapeutin konnte ich es just in time finishen. Es war
eine gute Idee, viele mochten dort das Ergebnis. Meine Mutter erzählt mir noch
heute, dass sich die Nachbarin jedes Jahr wieder freut, sich die Katze im
Winter ins Fenster zu hängen. Und dass sich meine Mutter ärgert, nie so etwas
bekommen zu haben, mag bedauerlich für sie sein, hatte jedoch seinen guten
Grund – denn wer Katzen in seinem Haus ne duldet, der darf au ne den Anspruch
erheben sich eine ins Fenster zu hängen.
Die zwei Monate waren eine Bereicherung für mein Leben,
ansatzweise sogar die beste Zeit meines Lebens. So ungewöhnliche Menschen, ganz
verschiedene Geschichten, die sie dorthin führten und die meine vorherige
These, induktiv von mir selbst erschlossen, wieso jemand derart erkrankt, als
falsch dekuvrierten. Vorbei die Zeit, da ich auf den Zug wartend, in klirrender Kälte den
Bahnsteig auf und ab ging, um natürlich Kalorien zu verbrennen, die ich
nie zu mir genommen hatte! Stattdessen erinnere ich mich an die schönen Stunden in dem riesigen
Park, morgens um 5 Uhr, wo der Nebel langsam Aufstieg, an die beste heiße
Schokolade in einem kleinen Eckkaffee Bamberg‘s, die ich je trank, an die
Bücher, die ich an der Heizung gelehnt und von dieser gewärmt, wie im
Schnellzug lesen konnte und an viele Kleinigkeiten, die das Leben erfreuen, an
die ich zuvor nie dachte oder die mir zuvor je sichtbar geworden waren. Diese
Bausteine gaben mir die ursprüngliche Kraft, fortan oder wenigstens eines Tages
wieder für den großen Traum, die Drei-Stundengrenze bei einem Marathon zu
unterbieten, zu kämpfen.
Doch ohne die Menschen, ohne euch, die ihr inzwischen diesen Blog
begleitet, wäre es mir unmöglich 365 Tage im Jahr diese Motivation aufbringen
zu können, dafür möge jeder der das liest mit einem großen Herz beschenkt
werden ♥.
wunderschöner text, ich freu mich so sehr für dich und deine motivation. und das mit der katze hat richtig mein herz erwärmt
AntwortenLöschendu bist toll <3
Superschön geschrieben und dem kann man eigentlich nichts mehr hinzufügen, du kannst stolz auf dich sein, dass du es da wieder raus geschafft hast und, dass du dein Leben jetzt leben kannst!
AntwortenLöschenDanke für deinen Kommentar. Ja, ich hab zum Glück nur drei Monate Probezeit. Wie ist das bei dir? Auch drei Monate oder doch wie bei so vielen das halbe Jahr. Mir erschließt sich der Sinn von 6 Monaten Probezeit bei einem auf ein Jahr befristeten Vertrag ja sowieso nicht so ganz. Kann man nicht in 3 Monaten rausfinden, ob derjenige zum Unternehmen passt oder nicht?
Na dann drück ich dir mal die Daumen, dass die Verhandlungen gut laufen ;)
Viele Grüße und ein schönes Wochenende!
"Aber eine volle Stunde nach dem Essen in ‘nem Beobachtungsraum eingesperrt – zum Lesen übrigens ganz hervorragend! Doch wie machen das die Bulimiker, dachte ich mir manchmal, die müssen doch innerlich brennen."
AntwortenLöschenJa, die Bulimiker müssen innerlich brennen, mir ging es jedenfalls so. Ich habe die Zeit irgendwann mit Lesen überbrückt und manchmal mit den anderen Karten gespielt - falls sie sich gnädig gezeigt haben, denn das ganze drei Mal am Tag wird irgendwann richtig langweilig.
Aber super, dass du es geschafft hast!